July 25, 2023

Der noch nicht verfasste Staatenbund zwischen der frühen und der verspäteten Nation – Frankreich, Deutschland und Europa am Übergang zum 21. Jahrhundert

Autoren
Ulrike Guérot
Co-Direktor
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„Das Verhältnis von universaler und nationaler Idee ist in Deutschland das der Spannung, in Frankreich das der Bindung. In der deutschen Geschichte wirkt es als sprengender Faktor, in der französischen als verschmelzender. (...) Wir sind weder staatlich noch national noch geistig geeint.“

Ernst Robert Curtius, Frankreich, Bd. 1, S. 4

 

Heute vor knapp einhundert Jahren, zwischen 1926 und 1929, verfassten der Romanist Ernst-Robert Curtius und der Politikwissenschaftler Arnold Bergsträsser zwei Frankreich-Bücher, die in punkto Landeskunde heute ihresgleichen suchen.[2] Das breite, in zugänglicher Sprache verfasste Kompendium umfasst auf insgesamt rund 500 Seiten Kultur, Religion, Geschichte, Staat und Wirtschaft Frankreichs, und ist weitgehend ohne Fußnoten oder Statistiken geschrieben. Mit dieserAuftragsarbeit für die Deutsche Verlagsanstalt sollte einer breiten deutschen Leserschaft in den politisch unruhigen Jahren der Weimarer Republik das als problematisch empfundene und zugleich bewunderte Nachbarland Frankreich zugänglich gemacht werden. Das Buch sollte Dibelius‘ berühmten England-Buch gleichen,[3] das damals ein Bestseller war. Curtius und Bergsträßer kannten sich aus ihrer gemeinsamen Zeit am Heidelberger Institut für Sozial- und Staatswissenschaften,[4] hatten also genug professorale Bekanntschaft, um ein gemeinsames Buch zu wagen.[5]

Das Buch ist in profunder Tiefe und mit einer beeindruckenden Unmittelbarkeit geschrieben.[6] Es beruht in weiten Teilen auf persönlichen Eindrücken und Erfahrungen, etwa, wenn Curtius fast pathetisch die Menhire der Bretagne oder die Felswände von Les Eyzies beschreibt: „Der geschliffenen Kiesel, den man in Händen hält, ist Zeuge des Prometheusschicksals unserer Menschheit.“[7]Curtius‘ Methode ist das unablässige Aufspüren von Einzelbezügen, die er kunstvoll zu einem holistischen und nicht schematisierten Frankreich-Bildverknüpft.[8] Er möchte schöpferisch verstehen. Sein Thema ist das Erfassen des französischen Wesens, des nationalen Universalismus und des französischen Geistesgutes als Höchstform der Weltkultur.[9]Der aus heutiger Wissenschaftssicht geradezu abenteuerlich breite Ansatz des behandelten Themas lässt fast erschauern. Auch Arnold Bergsträsser scheint eine komprimierte, übersichtliche und lesbare Übersicht über tausend Jahre französische Geschichte, Staat und Wirtschaft einfach aus der Feder zu fließen:der benachbarten État-Nation wird großer Respekt gezollt.

In jener mit Blick auf Europa hoffnungsvollen Epoche der Zwischenkriegszeit von 1920 bis 1930 spiegeln die Bücher eine große Bewunderung „für die historische Kontinuität und die gesellschaftliche Homogenität Frankreichs[10]. Zugleich ist Curtius‘ zentrales Argument, gleichsam die Struktur, die sein Frankreich-Buch durchzieht, der Konflikt zwischen Zivilisation (Frankreich) und Kultur(Deutschland), der dazu führe, dass Frankreich und Deutschland sich strukturell nicht verstehen können.[11] Gleich zu Beginn steigt er damit ein: “Der deutsche und der französische Kulturbegriff sind schon in ihrer Wurzel verschieden geartet (...). Das Missverstehen der gegenseitigen Kulturideen hat in Deutschland und Frankreich zu einer nicht-enden wollenden Polemik geführt (...). Der Unterschied der beiden Auffassungen spitzte sich zu in der Antithese Kultur und Zivilisation. Wir (Deutsche) stellen Kultur über Zivilisation. Frankreich bewertet Zivilisation höher als Kultur.“[12] Ähnliches schrieb er wiederholt in Briefen an seine Kollegen und Freunde, u.a. an Friedrich Siegburg, den er bewunderte.[13]

Da beide – Bergsträsser wie Curtius – stets die gemeinsame Entstehungsgeschichte Frankreichs und Deutschlands und darum geographisch ein geeintes (Staats-)Territorium vor Augen haben („Karl der Große steht am Anfang der französischen und der deutschen Geschichte“)[14] - eben jenes karolingische Reich, das um die Jahrtausendwende in ein Ost- und ein Westfrankenreich zerfällt und sich ab da über die Jahrhunderte in zwei unterschiedliche nationale Formationen auflöst - bewegen sich beide Bücher in allen Kapiteln, egal, ob es um Religion oder Wirtschaft geht, entlang derGegebenheit, dass Frankreich und Deutschland intuitiv ob des gemeinsamen Ursprungs zusammengehören, aber aufgrund unterschiedlicher Entwicklungen mit Blick auf Kultur und Staatlichkeit nicht mehr in eine gemeinsame politische Verfasstheit kommen können.

Dieser Vortrag möchte einen großen zeithistorischen Bogen von rund einhundert Jahren (1929 bis 2020) schlagen und, erstens, skizzieren, wie sich die Annahme eines strukturellen Unverständnisses zwischen Frankreich und Deutschland auf die jüngere Geschichte der europäischen Integration seit 1950 ausgewirkt hat; zweitens, was die Annahme eines strukturellen Unverständnisses für die zeitgenössische Situation heißt, in der Europa – genauer: die EU - inmitten der immensen Aufgabe steht, die noch nicht in Gänze absehbaren Folgen einer Pandemie zu bewältigen. Die Frage ist, wieweit Deutschland und Frankreich heute (noch oder wieder) in der Lage sind, sich als gemeinsame Erben eines europäischen Humanismus zu begreifen[15]und Europa im Sinne einer politisch verfassten Einheit zu gestalten – und ob das überhaupt noch möglich und notwendig ist. Methodisch werden inhaltlich-historische mit politischen Fragen diskursanalytisch verbunden.

Im ersten Teil gehe ich stichwortartig auf einige sozialwissenschaftliche Theorien und Ergebnisse historischer Forschungen ein, warum Deutschland und Frankreich sich (wahrhaftig oder vermeintlich?) strukturell nicht verstehen. Der zweite Teil analysiert, wie und warum dieses strukturelle Unverständnis in der Zeit von 1949 bis 1989, der „Hoch-Zeit“ der deutsch-französischen Beziehungen, von der Politik „überschrieben“ wurde, da durch den Elysée-Vertrag von 1963 jene institutionalisierte Form der deutsch-französischen Beziehungen geschaffen wurde, die den deutsch-französischen „Motor“ der europäischen Integration befestigt hat. In diesem Zeitraum gab es einen starken politischen Willen, die deutsch-französischen Beziehungen normativ neu zu gestalten und politisch zu recodieren. Der dritte Teil beschreibt, welches Wechselbad die deutsch-französischen Beziehungen nach 1989, dem  Zeitpunkt der deutschen Wiedervereinigung, nehmen sollten und welche Auswirkungen die nach 1989 zutage tretenden politischen ,ökonomischen und strategischen Verzerrungen des Tandem auf die europäische Entwicklung hatten. In Teil vier schließlich soll unter Rückgriff auf einige empirische Daten und phänomenologische Beobachtungen die Frage diskutiert werden, ob Deutschland und Frankreich heute (noch) die ökonomische Stärke, die geostrategische Unabhängigkeit und den politischen Willen haben, der normativen Zielsetzung einer „Immer engeren Union“, wie im Vertrag von Maastricht von 1992 verfassungsrechtlich angelegt, gerecht zu werden - und ob das überhaupt noch Sinn macht.

 

I. Je t’aime moi non plus[16]

Ich liebe dich auch nicht“ –dieser dialektische Satz unter dem Bild von zwei Strichmännchen, das eine mit einem Bonnet bleu-blanc-rouge, das andere mit schwarz-rot-goldener Zipfelmütze, zirkulierte in den 1980er Jahren in deutsch-französischen Kreisen als Aufkleber. In gewisser Weise ist der Aufkleber die bildliche Übersetzung jenes Diktums von Ernst Robert Curtius eines strukturellen Unverständnisses zwischen Deutschland und Frankreich.

Die Liste der deutsch-französischen Schismen ist lang und sie sind historisch alle gut dokumentiert.[17]Ob man bis zum Vertrag von Verdun 843 oder von Bonn 921 und zur Spaltung von West- und Ostfrankreich zurückgeht; ob man erst bei Madame de Staël einsetzt; oder beim zwar wertschätzenden, aber doch distinguierten Briefwechsel zwischen Voltaire und Friedrich dem Großen; ob man die vielfach dokumentierte Hassliebe von Bismarck nimmt, der Frankreich stets als Teil von Afrika betrachtete:[18]stets geht es um ein von Wachsamkeit und Bewunderung zugleich durchtränktes, gegenseitiges Beäugen. Für das 19. Jahrhundert zeichnet Claude Digeon in einer exzellenten Studie die Entfremdung des deutsch-französisches Geistes von Victor Hugo bis Treitschke ausführlich nach und bemerkt, dass der erste Teil des Jahrhunderts noch von größter französischer Bewunderung für den deutschen Idealismus geprägt war, nur um nach dem deutsch-französischem Krieg von 1870 bis 1872 in intellektuelles Säbelrassen zu münden: „C’est dans les esprits que se préparait ladislocation de l’Europe“.[19]Über dem 20. Jahrhundert wiederum schweben jene inzwischen berühmt gewordenen „Esquisses“von Alexandre Kojève von 1947,[20]ein Text, der einen fundamentalen Gegensatz zwischen Frankreich als Herzstück eines Empire Latin und anderen europäischen Epizentren – England,Deutschland, Russland oder auch der Türkei - behauptet und der inmitten der Eurokrise 2013 im Kontext einer Debatte über die deutsche Hegemonie in Europa plötzlich wieder auftauchte.[21]Seit Jahrhunderten geht es also um die strukturelle Unvereinbarkeit der politischen, ökonomischen und strategischen Interessen der beiden Länder und die Frage, ob und inwieweit diese Divergenzen kulturell begründet sind – was die Voraussetzung dafür wäre, sie durch kulturelle Annäherung zu überwinden.[22]

In einem kurzen Text wie diesem können die mannigfaltigen Dichotomien zwischen Zivilisation und Kultur, Katholizismus und Protestantismus, egalitärem Erbrecht[23]und preußischer Erbfolge nur auf den ältesten Sohn, zwischen rheinischem Liberalismus und ostelbischen Großjunkern, zwischen la vie doux und Disziplin, Revolution und Reaktion, zwischen Zentralismus und Föderalismus, Prunkkönighäusern und Kleinstaaterei, zwischen Mittelmeer und baltischer See,Sehnsucht nach dem Morgenland und Verteidigung des Abendlandes, griechisch-lateinisch-französischer Klassik vs. deutscher Romantik,[24]Descartes und Leibniz, Montesquieu oder Kant und mithin der unterschiedliche Geist der Gesetze in Deutschland und Frankreich nicht ausdifferenziert, sondern bestenfalls stereotyp aufgezählt werden. Strategisch wie metaphorisch geht es zwischen Deutschland und Frankreich immer um die Verteidigung der Latinität, des „génie lumineux des Méditéranniens“, gegen die „Tranchée de la Kultur“,Kultur mit K, assoziiert mit Namen wie Kant und Kleist, aber auch Werther oderSiegfried.[25]    

Wiederkehrender Gegenstand der strukturellen, sozialwissenschaftlichen Analysen, übrigens auch prominent bei Bergsträsser,[26]sind Unterschiede beim Begriff des Eigentums, der Ausgestaltung des Erbrechts inklusive der demographischen Konsequenzen, bis hin zur Verknüpfung von Demographie und Wirtschaftspolitik, z.B. die diametralen Präferenzen für Stabilität(„Deflation“) vs. Inflation in Frankreich und Deutschland.[27]Letztlich also unterschiedliche Begriffe der Communitas[28]oder des Socialen, mit dem vielleicht wirkungsmächtigsten Unterschied, dass die deutsche Nation keinen Jean-Jacques Rousseau („Lecontrat social“) hatte und mithin keinen Republikanismus[29]kennt, der sich zentral an der sozialen Frage artikuliert.[30]An den verschiedenen Begriffen und Sozialtechniken haben sich bis hin zur Eurokrise auch in der letzten Dekade strukturell wiederkehrende deutsch-französische Konflikte entladen.[31]Von Flaubert über Paul Valéry zu Michel Houellebecq oder von Aristide Briand über De Gaulle bis hin zu François Hollande wird (zumindest in der französischen Selbstwahrnehmung) stets die lateinische Zivilisation gegen die potentielle  germanische Barbarei zum Thema - und sei es die soziale Barbarei einer Austeritätspolitik im Nachgang zur Banken- und Eurokrise. Das Asoziale ist Barbarei, Sozialismus ist Zivilität:[32]Socialisme ou Barbarie hieß eine marxistische Zeitschrift, die während der Trente Glorieuses (1949 bis 1967)[33]in Frankreich erschien, als die PCF noch auf einen Stimmenanteil von knapp 30% kam und Eurokommunismus in Frankreich ebenso real war wie im Nachbarland die Mauer zur sowjetischen Besatzungszone.

Als Muster ist – auch das ist für die zeitgenössische europäische Betrachtung interessant - leicht erkennbar, dass die latente Bewunderung Frankreichs für den deutschen Geist oder auch die deutsche Wissenschaft und Ingenieurskunst immer dann kippt, wenn Deutschland entweder als zu groß, ökonomisch zu mächtig oder aber als bedrohlich wahrgenommen wird; oder weil es sich zu sehr nach Osten wendet. Aus der Angst vor der deutschen Größe ließ sich bis in die 1990er Jahre hinein der kaum verhohlene französische Wunsch der Nachkriegszeit ableiten, Deutschland möge im20. Jahrhundert dauerhaft territorial gespalten bleiben.[34]Berühmt jener Ausspruch von François Mauriac 1966, fünf Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer: "Ich liebe Deutschland. Ich liebe es so sehr, dass ich froh bin, dass es zwei davon gibt." Ein Satz, der gleichsam Erleichterung darüber erkennen lässt, dass es, nach dem gescheiterten Morgenthau-Plan und der von Frankreich offen favorisierten Reduzierung Deutschlands auf einen landwirtschaftlichen Kornspeicher Europas nach 1945, die man jedoch gegenüber den Amerikanern nicht durchzusetzen vermochte, letztlich die Sowjetunion war, die dafür sorgte, dass Deutschland noch kleiner blieb, als es nach dem Verlust seiner Ostgebiete ohnehin schon war.[35] Der Satz von Mauriac stand ganz in der Tradition des Historikers Jacques Bainville, der sich, politisch in der Action Française beheimatet, schon in den 1920er Jahren offen für eine territoriale Spaltung Deutschlands ausgesprochen hatte,[36] ein Gedanke, der offiziös bis weit in die 1970er Jahre sowohl bei französischen Gaullisten wie Kommunisten klammheimlich Zustimmung genoss.

Mit Blick auf die Befürchtungen eines deutschen Ausreißens nach Osten kann vom Vertrag von Rapallo von 1922 als„französischem Trauma“[37]über den Hitler-Stalin-Pakt bis hin zur Ostpolitik von Willy Brand und schließlich der Wiedervereinigung eine Linie gezogen werden, die jeweils prompt französische contre-manouvre zur Folge hatten, als da sind De Gaulles Russland Besuch von 1966 („Le grand peuple français salue le grand peuplerusse“), François Mitterrands Besuch bei Egon Krenz in der DDR im März 1990 und die heutige Russland-Politik von Emmanuel Macron. Der französische Reflex eines encerclements ist für das europäische Zeitgeschehen um so bedeutungsvoller, als dass China gleichsam zur östlichen Verlängerung Russlands geworden ist und Deutschland seit mindestens einer Dekade mit beiden Ländern bevorzugte ökonomische und geostrategische Beziehungen unterhält, von denen Frankreich abgeschnitten scheint, während die traditionelle Entente Cordiale durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU kein strategisches Refugium für Frankreich mehr zu bieten scheint.[38]Der noch nicht verfasste europäische Staatenbund Deutschlands und Frankreichs in memoriam des gemeinsamen karolingischen Ursprungs scheint mehr denn je einem geoökonomischen Sog ausgesetzt zu sein, der schon heute große Teile Osteuropas bis einschließlich Berlin mehr bindet, als es Frankreich Recht und lieb ist. Das vorläufige „Ende“ der chinesischen Seidenstraße ist derzeit am Duisburger Hafen.[39]

 

II. Die politische Neucodierung der deutsch-französischen Beziehungen

Noch im letzten Jahrhundert sah dies ganz anders aus. Nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs, zwischen 1949 und 1989, wurde viel dafür getan, um das lang tradierte Vorurteil, nämlich dass Deutschland und Frankreich sich strukturell nicht verstehen, politisch vergessen zu machen, weswegen ihre Beziehung in einem politischen Projekt Europa eingebettet wurde. Die europäische Integration war doppelt motiviert. Es gab nach den Trauma des ‚dreißigjährigen europäischen Krieges‘ (Philipp Blom)einen ersten zivilgesellschaftlichen Aufbruch nach Europa;[40]zum anderen die realpolitische Entwicklung der Blockbildung durch den Eisernen Vorhang ab 1946/47, die ganz Europa westlich des Vorhangs zum Bollwerk gegen die Sowjetunion machte: Frankreich und Deutschland mussten sich also fortan verstehen. Die historische Forschung hat inzwischen zutage gefördert, dass die Montanunion von 1950 nicht nur eine Idee von Robert Schuman, sondern -mehr oder weniger auf Geheiß der USA - ein geschickter Schachzug war, weitergehende Pläne einer europäischen Föderation zu konterkarieren.[41]Fast im gleichen Atemzug wurden durch die Ablehnung der Stalin-Note 1951 letzte Pläne zur Neutralisierung Deutschlands begraben. Konrad-Adenauer schickte sich daher auf seinem „langen Weg nach Westen“ (Heinrich August Winkler) an, die deutsch-französischen Beziehungen mit Hilfe der USA politisch neu zu codieren.Oder sich – ebenso wie die Franzosen - amerikanischem Willen, Geld und Versprechungen zu beugen, ganz wie man es sieht.

Die aus heutiger Sicht fast brachiale politische Verklammerung Frankreichs mit einem Deutschland, von dem es in siebzig Jahren dreimal überfallen und erniedrigt wurde, muss aus heutiger Sicht fast größenwahnsinnig anmuten. Zum Vergleich: 70 Jahre entsprechen der Friedensperiode der EU von 1950 bis 2020. Von Frankreich teilweise flehentlich vorgebrachte Sicherheitsinteressen wurden von den USA nicht beachtet. Stattdessen wurde Frankreich in Jalta in Abwesenheit als viertes Mitglied in den Alliierten Kontrollrat berufen, um es für die anglo-amerikanischen Pläne geschmeidig zu machen.

Heute können sich Deutschland und Frankreich nach siebzigjähriger Friedensperiode noch nicht einmal über den Sitz des Europäischen Parlaments in Straßburg verständigen.[42] Man kann also nur staunend vor der politisch-strategisch-administrativ-publizistischen Leistung den Hut ziehen, mit der es seit dem Elysée-Vertrag von 1963 gelang,Studentengeneration um Studentengeneration im Geist von deutsch-französischen Beziehungen zu erziehen, die das deutsch-französische Tandem nicht mehr in Frage stellen sollten – obgleich der politische Gehalt des Elysée-Vertrags durch die pro-NATO-Präambel des Deutschen Bundestags bei seiner Ratifizierung entwertet wurde, noch bevor die Tinte trocken war: „Les traités, voyez-vous, sont comme les jeunes filleset les roses: ça dure ce que ça dure“, dieser trockene Kommentar von Charles De Gaulle hat Einzug in die Lehrbücher gehalten.

Nichtsdestotrotz prägte Mitte der1960er Jahre der berühmte Politologe Stanley Hofmann in Harvard das geflügelte Wort einer „Symmetrie in der Asymmetrie“ – eigentlich eine sublimierte bzw. ins Positive gewendete Formel für jenes strukturelle Unverständnis, das Curtius Deutschland und Frankreich noch attestierte - das fortan aber kein Problem mehr war, sondern einen Vorteil für Europa darstellen sollte: beide Staaten seien eben völlig unterschiedlich, aber komplementär. Aus der Not wurde gleichsam eine Tugend gemacht. Wenn Deutschland und Frankreich einen Kompromiss schlössen, könne das Tandem ganz Europa mitnehmen, hieß es von da an in allen Lehrbüchern der europäischen Integration.Heerscharen von Professoren und Publizisten der ersten Stunde machten sich daran, Jahrhunderte struktureller Divergenzen zu überschreiben, wie die Adeptender NLP, der neuro-linguistischen Programmierung. Vierzig Jahre – bis 1989 -hat das sehr gut funktioniert.

Es gibt viele Fußstapfen deutsch-französischer Autoren, in die eine politikwissenschaftliche Professuram CERC treten könnte. Viele von ihnen haben in Bonn gelehrt, gelebt, gearbeitet oder sind wenigstens durchgereist, als Bonn noch Bundeshauptstadt war. Und doch wirken die Namen heute wie aus einer anderen Zeit, die fast als abgeschlossene Periode der deutsch-französischen Beziehungen gelten kann – und als solche wissenschaftlich am CERC aufgearbeitet werden könnte. Die Zeit von 1949 bis 1989 war spätestens seit dem Elysée-Vertrag von 1963 geprägt von einer nie gekannten Institutionalisierung der Beziehungen zweier Staaten mit regelmäßigen Gipfeltreffen, von der Arbeit des deutsch-französischenJugendwerks ganz zu schweigen. Sie war ebenso geprägt von einer intensiven deutsch-französischen Publizistik mit gleich mehreren Zeitschriften, allen voran die Documents/ Dokumente[43]des Pioniers Joseph Rovan. Dazu kamen Institutsgründungen: auf deutscher Seite das Deutsch-Französische Institut (DFI) in Ludwigsburg (1948) mit seinem Gründungsdirektor Robert Picht,[44]zu dem das CIRAC (Centre d‘Information et de Recherches sur l’Allemagne Contemporaine) unter René Lassère später das französische Pendant bilden sollte. Alles Chiffren und Namen, die zusammen mit dem heute fast legendären Alfred Grosser gleichsam die Hauptakteure der Recodierung der deutsch-französischen Beziehungen wurden. Daneben gab es die großen Diplomaten eines François Poncet, François Scheer oder Maurice Gordault-Montagne, um nur diese drei französischen Namen aus drei Jahrzehnten zu nennen; oder jenen von Joachim Bitterlich in den 1980er Jahren und Nikolaus Meyer-Landrut in diesem Jahrhundert auf deutscher Seite.

Deutsch-französische Pionierarbeit also vor dem Elysée-Vertrag, Aufbauarbeit danach und die Blütezeit in den 1980er Jahren, den Jahren des politischen Trio Kohl-Delors-Mitterrand.[45] Zusätzlich zu DFI und CIRAC wurde nun am Institut des Relations Internationales  (IFRI) in Paris die deutsch-französische Arbeitsstelle (CERFA) und bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Bonn (später Berlin) ihr Äquivalent eingerichtet, jeweils vom Quai d’Orsay bzw.  dem Auswärtigen Amt finanziert. Danach folgte 1996 die Gründung des Instituts von Jacques Delors, Notre Europe, in Paris, das seit 2014 mit dem Delors-Institut in Berlin auch ein deutsches Pendant hat. In loser Reihenfolge und ohne Anspruch auf Vollständigkeit arbeiteten und arbeiten in all diesen Einrichtungen bis in die heutige Zeit hinein bekannte Wissenschaftler*innen wie Frank Baasner, Frédérique Bozo, Claire Demesmay,Christian Deubner, Christiane Deussen, Hendrik Enderlein, Nicole Gnesotto, Anne-Marie Le Gloannec, Ingo Kolboom, Martin Koopmann, Henri Ménudier, Philipp Moreau-Defarges, Joachim Schild, Hans Stark, Henrik Uterwedde, u.v.a.m. Sie alle waren (und sind) Teil jener Neukonzeptualisierung und steten Arbeit an den deutsch-französischen Beziehungen. An den deutschen Universitäten gab es bis etwa zur Jahrhundertwende mit Wichard Woyke, Wilfried Loth, Gilbert Ziebura, Gerhard Kiersch, Wolf Lepenies oder Sabine von Oppeln eine Vielzahl von intimen und großartigen Kennern des deutsch-französischen Geschehens, die sich alle(noch) in die landeskundliche Tradition eines Ernst-Robert Curtius einreihen dürfen. Doch heute ist ihre Zahl wesentlich ausgedünnt, Pierre Monnet und sein IFRA oder Hélène Miard-Delacroix an der Sorbonne, die Nachfolgerin auf dem Chair Alfred Grosser, sind aktuell auf französischer Seite zu nennen. Seit 1998 hat kein deutscher Kanzler mehr eine Sonderberaterin für die deutsch-französischen Beziehungen wie Brigitte Sauzay berufen.

Die deutsch-französische Forschungslandschaft hat sich verändert. Die deutsch-französischen Augen schauen nicht mehr aufeinander, sondern gemeinsam in eine andere Richtung, auf die postkoloniale Debatte, den islamischen Terror, die afrikanische Migration oder die Herausforderungen durch die Digitalisierung.[46]

Der Elysée-Vertrag welkt langsam, aber er welkt. Seit 1989 wurde die „Symmetrie in der Asymmetrie“ durch die deutsche Wiedervereinigung auf eine harte Probe gestellt. Das deutsch-französische Tandem erlitt trotz aller Bemühungen einen Achsenbruch. Aus dem Tandem ist heute eher – um ein Bild zu wählen - ein Motorrad mit Soziussitz geworden. Die„Symmetrie in der Asymmetrie“ (Stanley Hofmann) ist längst nicht mehr gewährt. Deutschland ist in Europa dominant geworden, Frankreich hingegen zurückgefallen und keiner kann etwas dagegen tun. Dem einstigen Paar aber tut es nicht gut.

 

III. „Ondirait le Sud“: Frankeichs Traum von Süden inmitten eines globalen Nordens und der Zwang zu Europa

Wie alle Zäsuren war die stete Erosion der deutsch-französischen Beziehungen seit 1989 nicht sofort zu bemerken. Die Wiedervereinigung hat den Zentralkonflikt zwischen Latinität und einem nach Osten lugenden Deutschland vertieft, zumal mit „Osten“ jetzt nicht mehr nur Moskau, sondern auch Peking gemeint ist, und zwar ökonomisch wie strategisch.Von 1990 bis 2020 können die deutsch-französischen Beziehungen in fünf Phasen eingeteilt werden: Das Ende der Blütezeit Kohl-Delors-Mitterrand; die sogenannte  ‚Normalisierung‘ der deutschen Europapolitik unter Gerhard Schröder; die Mutation der deutsch-französischen Beziehungen von einem Tandem zu einer „Lokomotive ohne Anhänger“ ab 2003; eine eher konkurrenzielle Beziehung unter Nikolas Sarkozy ab 2007. Und schließlich eine Zeit der neuen Konfrontation in der Eurokrise ab 2010 und seither ein dauerhafter, fast systemischer Bruch zwischen Deutschland und Frankreich.[47]Nach Ende der „Grandes Projets Européens“ (Jacques Delors) – dem Binnenmarkt und dem Euro – wurde kein neues europäisches Großprojekt mehr aufgelegt. Die EU-Osterweiterung gelang gerade noch 2004, die Verfassung von 2003 scheiterte an ihrer Ratifizierung u.a. in Frankreich 2005. Aus dem deutsch-französischenTandem und mithin aus der europäischen Integration war hernach die Luft raus.[48]Ein nicht-verfasstes Europa wurde ab 2007/2008 von einer Bankenkrise heimgesucht, die es vor allem ob seiner politischen Nicht-Verfasstheit nicht bewältigen konnte,[49]was in der Folge im europäischen Süden zunächst soziale Verwerfungen, dann(partei-) politische Probleme, dann vielschichtige populistische Strömungen entstehen ließ.[50] Für Frankreich ist der fast lineare Zusammenhang zwischen den sozioökonomischen Verwerfungen im Zuge der Eurokrise und dem Ansteigen des Front National bei den Wählervoten im Zeitraum von 2012 und 2017 augenfällig.[51]

Das Zerwürfnis zwischen beiden Staaten war gerade zum Zeitpunkt der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Elysée-Vertrags im Januar 2013 unübersehbar, nicht nur mit Blick auf die kolossalen politischen Spannungen, sondern auch mit Blick auf erschreckende Umfragewerte in den Bevölkerungen, die seltsam asymmetrisch waren: Während 82 Prozent der Deutschen immer noch fanden, man habe ein Verhältnis auf Augenhöhe mit Frankreich, fanden das nur noch 53 Prozent der Franzosen, und 41 Prozent widersprachen dem ausdrücklich.[52]Offenbar hatten große Teile der deutschen Öffentlichkeit noch nicht mitbekommen, wie sich die soziale und politische Lage im Zuge der Eurokrise für Frankreich verändert hatte. Die Franzosen wiederum hatten sich in einer großen Pluralität von ihren einst bevorzugten Beziehungen zu ihrem Tandem-Partner abgewandt.[53]Eine Mischung aus Neid, Hassliebe und Bewunderung für das Nachbarland machte sich breit.

Zwei Monate später, im März 2013, fand der Text von Alexandre Kojève von 1947 und sein großes Thema der Verteidigung der Latinität als Arabeske des italienischen Philosophen von Giorgio Agamben seinen Weg in Libération unter dem Titel „Que l’Empire Latincontre-attaque“ und wurde zum Politikum.[54]Der französische Starökonom Jean Pisani-Ferry seufzte auf einer Konferenz:“Si la France pouvait choisir, elle choisirait le Sud.”[55]Ernst Robert Curtius und Arnold Bergsträsser hätten ihm wohl beide zugestimmt.Selbst Alfred Grosser nannte den Elysée-Vertrag zu seinem 50. Geburtstag einen„enormen Mythos“.[56]

Bis heute leidet die EU an der nicht-vollendeten politischen Union. Die strukturellen Spannungen sozio-ökonomischer Natur zwischen Deutschland und Frankreich nehmen immer mehr zu und können immer weniger verschleiert werden.[57]Zur politischen Union schmetterte Helmut Kohl 1990 ein kraftvolles „Ich will sie“ in den CDU-Bundesvorstand.[58]Das  Schäuble-Lamers Papier zu Kerneuropa von 1994[59]konzipierte entsprechend eine Sozial- und Fiskalunion. Doch im Zuge eines ‚Guerredes Septs Ans‘[60] -die Einführung des Euro war kein deutsch-französischer Pony Ritt, wie es heute im Rückblick oft scheint – wurde lediglich die monetäre Verklammerung erreicht und bis heute nicht viel mehr. Inzwischen wurden über fast dreißig Jahre ganze sozialwissenschaftliche Bibliotheken gefüllt mit akademischen Büchern und Analysen über die flaws of eurogovernace. Noch heute erscheint fast jeden Tag dazu ein neuer Artikel auf academia.eu.[61]Indes erweist sich hier die Folgenlosigkeit der Sozialwissenschaften:[62]ihre Erkenntnisse wurden und werden weitgehend politisch ignoriert, trotz –spiegelverkehrter - großer Debatten in beiden Ländern. In Deutschland wurde die Debatte über die deutsche Dominanz in der Eurozone, in die sich sogar George Soros öffentlich einmischte,[63] vorallem forciert von Wolfgang Streeck.[64] In Frankreich von Frédéric Lordon, einem anti-deutschen Ökonomen, der zugleich Berater des linkspopulistischen Jean-Luc Mélenchon war. Die im Kern auf die gleichen Mängel gerichteten, eurogovernance-kritischen Analysenentzweiten beide Staaten, anstatt wie in früheren Jahren zu einem Kompromiss und politischen Schulterschluss zu führen. Im Mai 2013 hauchte ein schwächelnder François Hollande noch einmal union politique in den politischen Raum.[65]2012 schon hatte Jürgen Habermas seine Aufsätze zur Verfasstheit Europas herausgegeben, betitelt mit einem Seufzer „Ach, Europa“. Seither wurde der Begriff der politischen Union weitestgehend aus dem europäischen Vokabular verbannt und die EU verabschiedete sich zunehmend in das, was die politikwissenschaftliche Forschung als „Post-Demokratie“ bezeichnet.[66]Retrospektiv wird man, wenn die Akten zugänglich sein werden, das Jahr 2013 wahrscheinlich als vorerst letzte, aber verpasste Chance werten müssen, Europa unter deutsch-französischer Führung als einen Staatenbund zu verfassen.

So aber ist die wirtschaftliche, fiskalische und soziale Verklammerung Deutschlands und Frankreichs und mithin Europas in der letzten Dekade nicht gelungen; die Bankenkrise wurde – don’twaste a crisis - gleichsam verschwendet.[67]Zeithistorisch interessant ist das Dokument über eine „Genuine Economic& Monetary Union“ (GEMU) vom Europäischen Rat vom Dezember 2012[68]mit vier ‚Buildings Blocs‘ (Wirtschafts-, Haushalts-, Fiskal- und politische Union), von dessen Forderungen selbst das European Rescue Package knapp zehn Jahre später weit entfernt ist. Europa ist – zumindest in diesem Politikfeld - ambitionslos geworden, noch bevor die Geflüchtetenkrise von 2015 das politische Gezerre über die GEMU neutralisierte.

Seither schaukelte sich eine politikwissenschaftlich gründlich ausgeleuchtete, reziproke Überlappung von nord- und südeuropäischem Populismus entlang des Musters anti-Transferunion vs. anti-Austerität[69]immer mehr hoch, überkreuzt von einem europäischen Ost-West-Diskurs über Migration und Rechtsstaatlichkeit. Ein 2017 nur knapp gewählter Präsident Emmanuel Macron wollte kurz nach dem europäischen Tiefpunkt des Brexits von 2016 diese europäische Ambitionslosigkeit beenden, indem er gleich nach Amtsantritt im Mai 2017 schnell hintereinander mehrere programmatische Europa-Reden[70]hielt. Eine semantische Analyse seiner Reden zeigt, dass der Begriff unionpolitique vermieden wird. Stattdessen spricht Macron von démocratie und souvereignté européenne, eine nicht triviale Verschiebung der Begrifflichkeiten. Auch eine Themenverschiebung ist in seinen Reden auffällig, das Vokabular ist teilweise neu: Die Digitalisierung, das Klima, Migration und die université européenne halten Einzug in die europäischenForderungskataloge.

Eine positive deutsche Reaktion auf die Vorschläge von Emmanuel Macron ist bis zum EU-Gipfel im Juli 2020 zunächst ausgeblieben. Die Frage, die bis zur Verabschiedung des European Rescue Package auf dem Tisch liegt,[71]ist mithin, ob das aktuelle Pandemie-Geschehen in Europa dem deutsch-französischen Tandem und damit der Idee einer europäischen Verfasstheit im Sinne eines „Hamiltonian Moment“[72]noch einmal Auftrieb verleihen kann; genauer: ob das deutsch-französische Paar strukturell noch in der Lage ist, Prozesse europäischer Vergemeinschaftung in die Wege zuleiten? Es könnte genau diese Fähigkeit sein, die beide Staaten als Tandem für Europa am Übergang zum 21. Jahrhundert verloren haben. Zumindest nimmt der Staatssekretär für Europa im französischen Außenministerium, Clément Beaune, über den kritischen Zustand der deutsch-französischen Beziehungen im Vorfeld der Beschlüsse vom Juli 2020 kein Blatt vor den Mund.[73]

In der vergangenen Dekade zumindest sind europäische Krisen – die Bankenkrise von 2010 ebenso wie die Geflüchtetenkrise von 2015 - eher zum Vorwand für Renationalisierungen geworden.[74] Laut der Theory of Memories[75]wäre das in Europa gemeinsam Erinnerte damit nicht mehr schrecklich genug –oder das Erinnern nicht mehr gemeinsam genug – um aus dem europäischen Erinnern die politische Energie für einen beherzten politischen Schritt in Richtung einerweiteren Vergemeinschaftung zu nehmen.

Vieles spräche dann dafür, dass Deutschland und Frankreich Europa als gemeinsames kulturelles und politisches Praxisfeld längst verloren haben. So lässt sich die These formulieren, dass sich Deutschland und Frankreich heute mit Blick auf die Konzeption einer staatlichen Verfasstheit Europas nicht mehr verstehen, jedenfalls intellektuell weniger verstehen als noch am Ausgang des 20. Jahrhundert, schaut man auf die reichhaltigen, intellektuellen deutsch-französischen Debatten zwischen 1998 und 2003 im Vorfeld der europäischen Verfassung.[76]Aber ist das schlimm?

 

IV. Die EU nach der Pandemie: was wird aus der europäischen Einigung?

In der Tat hat in der politischen Debatte ebenso wie in der akademischen Forschung und im zivilgesellschaftlichen Diskurs über Europa seit einigen Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden.Aus europäischer Integration wurde europäische Demokratie, die europäischen Staaten gerieten als Akteure des europäischen Geschehens aus dem Blickfeld, die europäischen Bürger*innen kamen ins Spiel.[77]Empirisch kann erhärtet werden, dass sich diese Diskursverschiebung zumZeitpunkt der Bankenkrise ereignete und von neuen, jungenzivilgesellschaftlichen Gruppen ausging, die die europäischen Geschehnisse nicht mehr unter dem Prisma der nationalstaatlichen Kooperation betrachten wollten, wodurch konsequenterweise auch die deutsch-französische Tandemsformation als ‚Motor der Integration‘ zunehmend irrelevant wurde.[78]Eine alte Diskurskoalition, die die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts im Sinne des klassischen deutsch-französischen Tandems für Europa „geframed“ hat, wurde weitgehend abgelöst von einer jüngeren, transnationalen, europäischen Diskurskoalition. Auch die Form des europäischen Diskurses hat sich geändert:statt deutsch-französischer Vorschläge für Europa gibt es jetzt Forderungen aus der europäischen Zivilgesellschaft,[79]aus staatlichem, deutsch-französischem top-down wurde ein bürger*innen-basiertes,europäisches bottom-up, das mit Begriffen wie politische Union,Staatenbund oder Bundesstaat nichts mehr anfangen kann. Kurz: der nationalstaatliche Europadiskurs wird aktuell im zivilgesellschaftlichen Umfeld dekonstruiert; die sprachliche Diskrepanz zu regierungsamtlichen, europapolitischen Texten, die noch der alten Diktion anhängen, könnte derzeit nichtgrößer sein.

Damit aber hat sich die heutige Europadiskussion entscheidend gegenüber der „Hoch-Zeit“ der deutsch-französischen Beziehungen in den 1980er Jahren verschoben. War die „bundesstaatliche“Diskussion einer ever closer union von 1992 noch symbiotisch motiviert,[80]wusste die etwas später einsetzende Diskussion[81]über einen europäischen Staatenbund schon, dass es um die „Optimierung des Abstand“[82]zwischen den verschiedenen europäischen Räumen gehen muss.  Alle Begrifflichkeiten gängiger Europadebatten- Staat, „Superstaat“, Bundestaat oder Staatenbund -, die die ever closer union als eine große, verfasste, europäische Einheit sahen, sind bisher ins Leere gelaufen. Heute wird die „Größe der Demokratie“ (Dirk Jörke) eher inFrage gestellt bzw. zu große Einheiten werden demokratietheoretisch als problematisch bezeichnet.[83]Staat und Europa scheinen auf eine Art contradictio in adjecto hinauszulaufen: wo immer der Begriff Staat in die europäische Diskussion kommt, bricht diese ab: „Es gibt in der EU keine öffentliche Debatte über eine Staatswerdung, noch nicht einmal eine verbreitete Grundstimmung unter den Völkern, die in diese Richtung weist. Die politischen Verwerfungen, die ein solcher Prozess hervorrufen würde, dürften selbst die gegenwärtige Krise noch in den Schatten stellen.“[84]Was freilich das Paradoxon aufwirft, dass die europäischen Bürger*innen gesucht werden, während der europäische Staat gemieden wird.Europäische Bürger*innen ohne Staat also?

Eher scheint der Idee Europas als einer permanenten translatio imperii eine Wahrheit innezuwohnen, die genau indem Moment für Europa formgebend werden könnte, in dem die klassischen, zwischenstaatlichen - vor allem deutsch-französischen Bemühungen - um eine europäische Verfassung seit dem Vertrag von Maastricht wiederholt auf Grund gelaufen sind. Im europäischen Kontext wird hingegen vor allem unter Historikern seit nunmehr rund dreißig Jahren eine Diskussion über den Reichsbegriff und seine mögliche Applizierung auf Europa geführt und die Nuance zum Begriff eines europäischen Staates – Bundesstaat oder Staatenbund - ist nicht trivial. Während Jacques le Goff 1994 schrieb, „Europa [müsse] heute eine andere Form der Einheit finden als die eines Reiches“[85]hielt Rainer Koselleck die Applikation des Reichsbegriffs für Europa für möglich, gar adäquat, wenn es gelänge, den verstaubten Reichsbegriff zu„demokratisieren“, und zu ent-imperialisieren, denn bereits seit 1848 zeichneten sich sozialökonomisch und konstitutionell gesamteuropäische Strukturen ab.[86]Und Peter Sloterdijk schreibt in seinem großartigen Essay von 1994: „Die quintessentielle europabildende Funktion besteht in einem Mechanismus der Reichsübertragung. Europa setzt sich in Gang und hält sich in Bewegung in dem Maß, wie es ihm gelingt, das Reich, das vor ihm war, das römische, zu reklamieren, zu re-inzenieren und zu transformieren.“[87]

Also kein europäischer Staatenbund, sondern ein „europäisches Reich“, aber ein demokratisches? Kann es das geben? Europa als ein „post-nationales Imperium“, das gleichzeitig gelernt hat, über Imperien hinaus zu denken? Dann aber ginge es nicht (mehr) um Deutschland oder um Frankreich, auch nicht um ein europäisches Tandem oder um europäische Verfassungsentwürfe zweier Nationen, die schon vieles vorgeschlagen haben, was einem europäischen  Staatenbund gleichkäme: die „Fédération des États-Nations“ von Jacques Delors oder das „Europe Puissance“ des kürzlich verstorbenen Valéry Giscard d’Estaing,[88]ein Gouvernement économique oder eine Politische Union (HelmutKohl), alles indes Begriffe und Ideen, die wahrscheinlich passé sind.Die verfrühte und die verspätete Nation schaffen heute keine gemeinsame oder europäische Staatsgründung mehr, keinen Bundesstaat und auch keinen Staatenbund:dieser europäische Zug ist längst abgefahren, und zwar ohne Passagiere. Vieles spricht dafür, dass die deutsch-französische Diskurs- und Forschungslandschaft mit Blick auf Europa am Übergang zum 21. Jahrhundert dabei ist, die Idee eines deutsch-französischen Staatenbundes in Reminiszenz an eine karolingische Tradition, wie er noch 2017 von den französischen Philosophen Alain Badiou und Jean-Luc Nancy vorgeschlagen wurde[89] -oder noch jüngeren Datums, im Sommer 2020, von Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie[90] - ad acta zu legen und Europa in Räumen zu denken, die nicht durch Staatenkooperation, sondern durch gleiche Bürger*innenrechte miteinander verknüpft werden.

Insofern heißt der Abschied von einem europäischen Staatenbund und vom deutsch-französischen Tandem nicht, dass die europäische Einigung unvollendet bleiben muss. Sondern am Übergang zum 21.Jahrhundert geht es um die Durchwirkung, horizontale Vernetzung und Strukturierung eines europäischen Territoriums, das buchstäblich als Raum ohne innere Grenzen gedacht werden muss, und zwar von Irland bis zur Türkei, von Portugal bis Russland und von Albanien bis Schweden: es geht um Europa(s) im Plural, wie von Jacques Attali bereits 1994 skizziert.[91]Lebte Ernst Robert Curtius noch, könnte er dazu befragt werden, ob er sich so eine kulturelle und soziale Durchwirkung und Vernetzung von Räumen jenseits der lateinischen Sphären auf dem europäischen Kontinent vorstellen könnte, z.B. ob ein Rheinbund mit einem Ostseebund, einem Schwarzmeerraum oder einem Balkanbund lose föderiert werden könnte, über Geld, Züge, digitale und Energieinfrastruktur oder gleiche Bürger*innenrechte.

Egal, ob man Montesquieu zum Ahnen einer europäischen Idee jenseits von Nationalstaaten macht; oder -  en passant bei Denis de Rougemont - Hannah Arendts „politische Grammatik des Föderierens“[92] als Grundlage nimmt und von dort einen Bogen bis zu Edgar Morins Penser l’Europeder 1980er Jahre spannt: Europa kann aus seiner Geschichte heraus perspektivisch nur die Föderation von Föderationen sein, ein horizontal und lose verknüpfter(Reichs-)Verbund kleiner politischer Einheiten, ein modernes, demokratisches Verbundsystem unabhängiger Metropolen, Städte und Regionen.[93]Demnach wäre die europäische Integrationsforschung jahrzehntelang mit Begriffen nationalstaatlicher Prägung wie ‚sui generis‘, Multi-Level-Governance, Subsidiarität,[94] Kompetenzverteilung oder Intergouvernementalismus in die semantische und akademische Irre gelaufen.Gearbeitet werden müsste hingegen am Begriff des europäischen Raumes[95](anstatt am Begriff der Grenze!) bzw. der europäischen Räume, an der Ausgestaltung(europa)bürgerlicher Rechte und an Formen postmoderner autogestion, in denen partizipative Bürger*innenräte eine Art ineinandergreifende europäische Räterepublik konstituieren.

Identités culturelles und citoyenneté européenne würden dann zwischen regionalen bzw. städtischen Einheiten in Europa direkt miteinander verknüpft, ohne den Umweg über die Nation zu gehen.[96] Das politische Projekt Europa würde zunehmend von den europäischen Bürger*innen und ihren gemeinsamen Rechten aus gedacht. Projekte wie eine europäische Arbeitslosenversicherung oder auch ein europäischer Mindestlohn wären dann keine deutsch-französischen Zankäpfel im EU-Rat mehr, Zankäpfel, an denen sich àla Curtius das strukturelle Unverständnis zwischen Deutschland und Frankreich festmachen ließe, weil sie eben jene sozioökonomischen Spannungen zutage fördern, die sich in der Geschichte stets zu kulturellen Mißverständnissen kristallisierten. Sondern sie wären Projekte, Pläne und Aufgaben für eine neugestaltete europäische, parlamentarische Versammlung und ihre jeweiligen Mehrheiten.[97]

Die Debatte um das European Citizenship hat nach den wegweisenden Arbeiten von Etienne Balibar und Samantha Besson im Übergang zum 21. Jahrhundert[98]enorm an Fahrt aufgenommen und vieles spricht dafür, dass begriffliche, juristische und definitorische Arbeit am European Citizenship zielführend für die Formation eines anderes Europa ist.[99]In der jüngeren politikwissenschaftlichen Forschung werden zunehmend citoyenneté européenne und souvereigneté européenne miteinander verbunden,[100]was ältere akademische Debatten über den (mangelnden) europäischen Demos bzw.DemoI, also das fehlende europäische ‚Staatsvolk‘ revolutioniert.[101] Immer mehr geht es in postmodernen Europadebatten um Städte und Regionen als(konstitutive) Akteure Europas, um urbane Zentren und die Frage, welche ländlichen Gebiete wie um welche europäischen Metropolen gruppiert und partizipativ, infrastrukturell sowie administrativ an sie angebunden werden sollen.[102] Mithin geht es um eine europäische Einheit, die – gerade weil der europäische Staatenbund zwischen der frühen und der verspäteten Nation nicht verfasst wurde – wohl immer weniger als Staat gedacht werden muss.

In einer großen historischen Bewegung würde dann das strukturelle, kulturelle und vor allem sozioökonomische Unverständnis zwischen Deutschland und Frankreich, von dem Ernst Robert Curtius sprach, gleichsam dadurch unterspült, dass Franzosen und Deutsche (wie überhaupt alle Europäer*innen) perspektivisch die gleichen bürgerlichen, sozialen und politischen Rechte jenseits ihres heutigen État-Nation bekämen. Die Sozialisierung europäischer Bürger*innen in einen gemeinsamen, auch sozial ausgestalteten europäischen Rechtsraum würde die neue föderale Einheit eines horizontal verbundenen, europäischen Raums jenseits heutiger Nationalstaatlichkeit begründen.[103]  

Quellen

[1] Verschriftliche Fassung des Vortrags vor der Berufungskommission der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn im Zuge der Berufung einer Professur für Europapolitik unter besonderer Berücksichtigung der deutsch-französischen Beziehungen, am 15. Dezember 2020 um 15 Uhr, per Zoom. Der Vortrag soll überarbeitet als Aufsatz im Leviathan1/2021 erscheinen. Dieser Text ist vorläufig und informell, als solcher nicht zitierfähig und nicht zur Zirkulation jenseits der Mitglieder der Berufungskommission gedacht!

[2] Ernst-Robert und Arnold Bergsträsser, Frankreich.Band 1 & 2, Stuttgart/ Berlin: DVA, 1931(Erster Band: Die Französische Kultur. Eine Einführung; zweiter Band: Staat und Wirtschaft Frankreichs)

[3] Wilhelm Dibelius, England, 2 Bde., Stuttgart: DVA, 1923

[4] Für Einzelheiten Reinhard Blomert, Intellektuelle im Aufbruch. Karl Mannheim, Alfred Weber, Norbert Elias und die Heidelberger Sozialwissenschaften der Zwischenkriegszeit, München und Wien 1999, insbesondereS. 108-120, S. 133-138 und S. 301 bis 328

[5] Im Vorwort zu Band 1 schreibt Ernst Robert Curtius: „Dass die Zweiteilung einer solchen Arbeit immer etwas Missliches hat, liegt auf der Hand. In diesem Fall aber schien die nahe persönliche Verbindung der beiden Mitarbeiter ein Mindestmaß von Gemeinsamkeit und Sehweise zu verbürgen.“ 1929 wechselte Curtius nach Bonn, was die gemeinsame Arbeit etwas erschwerte.

[6] Vgl. die Rezension von Ernst Wilhelm Eschmann, in: Die Tat,1930, S. 913-915, hier S. 913

[7] Ernst-Robert Curtius, Frankeich, Bd. 1, op. Cit., S.4

[8] Sebastian Liebold, Starkes Frankreich – instabiles Deutschland. Kulturstudien von Curtius/ Bergsträsser zwischen Versailler Frieden und Berliner Notverordnungen, Chemnitzer Beiträge zur Politik und Geschichte, Berlin: Lit-Verlag, 2008, S. 16

[9] Vgl. dazu Herbert von Beckerath: Rezension zu Ernst Robert Curtius und Arnold Bergsträßer: Frankreich, in: Schmoller Jahrbuch56 (1932), Heft 5, S. 131-134, hier: S. 131

[10] Vgl. Sebastian Liebold, op. Cit.,S. 20

[11] Hervorgehoben werden muss, dass apodiktische und empirisch nicht unterfütterte Aussagen bzw. Beobachtungen, die Curtius gleich zu Einstieg in seinem Frankreich-Band macht, wie etwa „Wir Deutsche pflegen den Menschen nach seiner Leistung zu bewerten. Wir schätzen die Arbeit um ihrer selbst willen (...) Frankreich kennt dieses Arbeitsethos nicht“ (op. Cit., S. 1),heute in wissenschaftlichen Arbeiten so nicht mehr so formuliert werden könnten.

[12] Ernst Robert Curtius, Frankreich, Bd. 1, op. Cit.,S. 3 oben und Seite 4 oben

[13] Frank-Rutger Hausmann (Hg.), Ernst Robert Curtius. Briefeaus einem halben Jahrhundert. Eine Auswahl. Baden-Baden: Valentin Koerner, 2015, u.a. Nr. 126, Brief an Friedrich Sieburg, S. 249 u.v.a.m.

[14] Arnold Bergsträsser, Frankreich, Bd. 2, op. Cit., S.11

[15] Ernst Robert Curtius, Deutscher Geist in Gefahr,Stuttgart & Berlin,1932

[16] Bedeutung und Übersetzung dieses Skandaltitels sind seit langem umstritten. Legendär die Plattenaufnahme von Serge Gainsbourg & Jane Birkin von 1967.

[17] Eine witzige Übersicht bietet das 2016 erschienene Buch: Petite Histoire de la Germanophobie“ von Goerge Valance, kurz nach der Eurokrise, da „Germanophobie“ in den Jahren der Eurokrise wieder aufkam, dazu Ulrike Guérot, Was ist los mit Frankreich, Von politischer Zersetzung zu sozialer Neuordnung. Ein Essay, in: Ulrike Guérot/ Elisabeth Donat, Was ist los mit Frankreich, Von politischer Zersetzung zu sozialer Neuordnung,Bonn: Dietz 2917, S. 34 ff, mit vielen Belegen für die französische Deutschlandkritik ab 2010 und mit weiteren Literaturangaben, z.B. den Blog von Frédérique Lordon.

[18] Volker Ullrich, Bismarck, Reinbek 1998, S. 101

[19] Claude Digeon, La crise allemande delapensée française1872 – 1914, Paris:Presses Universitaires de France (PUF), 1959, S. 27

[20] Giorgio Agamben, Que l’Empirelatin contre-attaque, in: Libération, 15. März 2013. Dazu ausführlich Wolf Lepenies, Die Macht am Mittelmeer. Französische Träume von einem anderen Europa, München: Carl-Hanser Verlag 2016, vor allem das erste Kapitel „Gegen Deutschland: Das „Lateinische Reich“, S. 15-33

[21] Für eine gute Zusammenfassung vgl. Hans Kundnani, The Paradox of German Power, London: Hurst & Co Publishers, 2014

[22] Genau dies ist der Vorwurf, den zeitgenössische Kritiker Curtius ob seiner pauschalisiert angenommenen, kulturellen Differenz machen. Curtius begreife die Probleme zwischen Deutschland und Frankreich kulturalistisch, nicht politisch, eine Kritik, die nur teilweise berechtigt ist, vgl., Sebastian Liebold op. Cit., erstes Kapitel, S. 8-37, insbesondere S.14, S. 18

[23] Ein Argument, das Emmanuel Todd früh stark gemacht hat in Le Trosième Planète, Paris: Éditions des Seuils, 1983

[24] Vor diesem Hintergrund ist es nicht uninteressant, dass es vor allem Giscard d’Estaing war, der sich 1981 für die Aufnahme Griechenlands in die EU ausgesprochen hat.

[25] Dazu ausführlich Lepenies, op. Cit., S. 199

[26] Bergsträsser, Op. Cit., z.B. S. 73, S. 77 ff

[27] Mark Schieritz, Die Inflationslüge. Wie uns die Angst ums Geld ruiniert, Knauer 2013. Von französischer Seite in jüngerer Zeit Guillaume Duval, Made in Germany. Le model allemand au délà des mythes,Paris: Seuil, 2013. Die Verknüpfung von Demographie und wirtschaftlichen Präferenzen geht bis hin zu dem Argument, dass einige Autoren die Euro-Einführung als Grund für die Annäherung der Geburtenraten zwischen Deutschland und Frankreich ausmachen, vgl. https://www.zeit.de/2018/08/geburtenrate-frankreich-weniger-kinder

[28] Vgl. insbesondere die Arbeiten von Niall Bond (Enkel von Ferdinand Tönnies), Université de Lyon, zum Begriff der Communitas in den unterschiedlichen europäischen Sprachräumen.

[29] Analysen, Betrachtungen und Studien über den französischen Republikanismus füllen inzwischen ganze Bibliotheken. Es wäre vermessen, hier auch nur eine Auswahl anzubieten. Natürlich widmen sowohl Curtius wie Bergsträsser dem Republikanismus viele Seiten in ihren Frankreich-Büchern. Eine knappe Übersicht über die jüngere Forschung bietet Daniel Schulz, Frankreichs Republikanismus: Teil des Problems oder Teil der Lösung?, In: Ulrike Guérot/ Elisabeth Donat, Was ist los mit Frankreich, op. Cit, S. 69-80

[30] Dass die Französische Revolution im Gegensatz zur amerikanischen an der ungelösten sozialen Frage scheiterte, weil die USA für wenige Einwohner viel Land zu vergeben hatten und überdies in ihren Südstaaten noch eine Sklavenhalter-Gesellschaft waren, ist das zentrale Argument von Hannah Arendt in ihrem großen Buch Über die Revolution, München: Piper 1974

[31] Eine gute Übersicht und viele Zahlen über diese wiederkehrende Konflikte bietet Guillaume Duval, Frankreich ist nicht der kranke Mann Europas, in: Ulrike Guérot/ Elisabeth Donat, Was ist los mit Frankreich?, Op. Cit., S. 127-143

[32] Dazu auch die Studien über Zivilität/ Civilité von Etienne Balibar, Violence et Civilité, Paris, Éditions Galilée, 2010

[33] Bergsträsser, op. Cit, S. 215ff, beschreibt ausführlich die egalitären wirtschaftlichen Strukturen Frankreichs beginnend mit der Revolution vs. der liberalen Theorien Englands und die Herausbildung von Étatismus vs. Liberalismus, von / Colbertismus vs. Laissez-faire und letztlich Sozialismus vs. Merkantilismus.Vergleiche zu der Entstehung der unterschiedlichen ökonomischen Traditionen vor allem Reinhard Blomert, Adam Smiths Reise nach Frankreich oder die Entstehung der Nationalökonomie, Berlin: Die Andere Bibliothek, 2012

[34] Tara Varma, Hä? Pardon?, in:IPG, 13.11.2020: https://www.ipg-journal.de/rubriken/europaeische-integration/artikel/deutsch-franzoezische-beziehungen-4762/

[35] Für einen Überblick Karl-Dietrich Bracher, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung 1945-1949, Stuttgart: DVA1983, S. 167ff.

[36] Vgl. Jacques Bainville, Les conséquences politiques de la paix, in: Politique Etrangère, 1/ 1996,Passé-Présent, S. 205-213

[37] Vgl. die Dissertation von Renata Fritsch-Bournazel, Rapallo- ein französisches Trauma, Köln, 1976

[38] Siehe den Konflikt über die Fangquoten, in dem sich besonders Frankreich und Großbritannien zerfleischen, vgl. https://www.handelsblatt.com/politik/international/brexit-im-fischereistreit-waechst-der-druck-auf-frankreich/26263364.html?ticket=ST-6974574-vk5111EZvtyXNmLxN3uC-ap1

[39] Vgl.beispielsweise   https://www.deutschlandfunk.de/neue-seidenstrasse-duisburg-profitiert-vom-china-handel.769.de.html?dram:article_id=445375

[40] Siehe z.B. Manifest von Ventotene 1944 und das Manifest der Europäischen Bewegung vom September 1946, bekannt als „Hertensteiner Programm“.

[41] Geprägt vom Geist der Résistance, formulierten die damaligen vor allem französischen und italienischen Aktivisten schon 1942: „An der Stelle eines Europas, das unter der Knute eines von seiner Machtberauschten Deutschlands nicht geeint, sondern geknechtet ist, werden wir gemeinsam mit den anderen europäischen Völkern ein geeintes, auf der Grundlage gleichen Rechts organisiertes Europa in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aufbauen.“  Das Zitat stammt von dem französischen Widerstandskämpfer Henry Frenay, zitiert nach: Walter Lipgens, Europa-Föderationspläne der Widerstandbewegungen 1940-1945. Einen Dokumentation, München 1968, S.17. Dazu auch Frank Niess, Die Europäische Idee. Aus dem Geist des Widerstands, Suhrkamp 2011, S. 155 und Denis de Rougemont, Rede auf dem Kongress der Union des Fédéralistes Européennes, 27.-31. August 1947, in: Écritssur l’Europe, Paris, 1994, S. 8-16. Die historische Forschung – siehe Niess- geht derzeit davon aus, dass Winston Churchills „Let-Europe-Arise“-Rede an der Universität Zürich am 19. September 1946 überstürzt und auf amerikanische Initiative organisiert wurde, um weitergehende, konsequent föderale Pläne, die die europäischen Bewegung zeitgleich zwischen dem 15. und 19. September 1946 in ihrem „Hertensteiner Program“ formuliert hatte, zu konterkarieren. Für einen so ambitionierten Prozess war in amerikanischen Augen angesichts der Bedrohung durch die UdSSR keine Zeit. Die bestehenden Nationalstaaten in ihren Grenzen „nur“ wirtschaftlich in einer europäischen Montanunion zu verbinden, war die einfachere und schnellere Lösung. Dazu der Klassiker von Alan Milward, The European Rescue of the Nation State. London:Routledge 1992.

[42] Vgl. den recht kleinkarierten Artikel von Annegret Kramp-Karrenbauer in der WELT am Sonntag, 10. März  2019, als „Antwort“ auf Emmanuel Macrons Europareden.

[43] Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog, seit 2010 eine gemeinsame, bilinguale Zeitschrift. Siehe auch die Lendemains.

[44] Robert Picht - ein interessantes Detail - ist der Sohn von Georg Picht, der ein Schüler von Alfred Weber war, der wiederum mit Ernst Robert Curtius über das Heidelberger Institut für Sozialwissenschaften nicht nur kollegial verbunden war, sondern mit Weber vor allem die Kritik am „Relationalismus“ (oder auch Nihilismus) von Karl Mannheim teilte; vgl. zu diesem Soziologenstreit ausführlich Reinhard Blomert, op. Cit., S. 213 ff. Auf die intellektuelle Auseinandersetzung mit Mannheim über die „Funktion des Geistes“ in Goethe’scher Tradition geht ERC in vielen seiner Briefe ein, z.B.an Edgar Salin, Brief Nr.110, op. Cit, S. 225. Sie erklärt wohl auch seine Begeisterung für die Philosophie von Henri Bergson. Darüber hinaus war Robert Picht der Urenkel von Greda Curtius, der Schwester von ERC.

[45] Vgl. Peter Schwarz, Helmut Kohl. Eine politische Biographie, Stuttgart: DVA, 2012, S. 619 ff.

[46] Exemplarisch dafür die jüngeren Ausgaben derCahiers de l’ifri/ Cerfa oder ganz frisch Colin, Nicole; Demesmay, Franco-GermanRelations Seen from Abroad: Post-war Reconciliation in InternationalPerspectives, Berlin: Springer 2021

[47] Vgl. dazu ausführlich Ulrike Guérot, Zwanzig Jahre nach Helmut Kohl: wo stehen die deutsch-französischen Beziehungen? Historisch-Politische Mitteilungen, Band 20: Heft 1, DOI: https://doi.org/10.7788/hpm.2013.20.1.273, online veröffentlich am 22.12.2013

[48] Vgl. Ulrike Guérot, Europa wie es sinkt und lacht, in: Internationale Politik (IP), 10/2009, S. 52-59.

[49] So das Argument von Kathleen R. McNamara, 16. Dezember2011, in Foreign Policy: https://foreignpolicy.com/2011/12/16/its-the-politics-stupid/, das auch Ökonomen wie etwa Nicolas Veron gemacht haben.Für politikwissenschaftliche Analysen vgl. Hauke Brunkhorst,  Demokratischer Universalismus – von der evolutionären Gewohnheit zur emanzipatorischen Praxis. Jürgen Habermas zum 90. Geburtstag, in: Leviathan, Jahrgang 47 (2019), Heft 3, S. 286-307;  Wolfgang Streeck, Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Berlin: Suhrkamp, 2012 sowie die Debatte zwischen Jürgen Habermas und Wolfgang  Streeck im Leviathan 2015, Hefte 1 & 2;dazu Claus Offe, Europe entrapped, London: Wiley, 2015, sowie von französischer Seite Jean Pisany-Ferry, La monnaie orpheline, https://www.lemonde.fr/idees/article/2008/05/27/la-monnaie-orpheline-par-jean-pisani-ferry_1050264_3232.html

[50] Für die Politikwissenschaft hier empirisch überzeugend Philipp Manow, Die politische Ökonomie des Populismus, Berlin: Suhrkamp,2018 und Cas Mudde, Populism, A very short introduction, Oxford University Press, 2017. Für die wirtschaftswissenschaftliche und  wirtschaftshistorische Analyse Adam Tooze, Crashed:How a Decade of Financial Crisis changed the World, New York: Penguin, 2019.

[51] Ulrike Guérot, Marine Le Pen und die Metamorphose der französischen Republik, in: Leviathan 2015/ 44(43): 139-174 sowie Pascal Perrineau, LaFrance au Front. Essai sur l’avenir du Front National, Paris: Fayard,2014, der die fünf Phasen der Entwicklung des Front National beschreibt.

[52]Vgl. „Frankreich und Wir“. Ergebnisse der großen Umfrage „Frankreich,Deutschland und Sie?“, vorgestellt von ARD, Deutschlandradio, ARTE und Radio France, zum 50. Jahrestag des Elysée-Vertrages, in: http://www.kas.de/wf/doc/kas_33367-1522-1-30.pdf?130131101339  

[53] Dazu ausführlich Ulrike Guérot, Wie hältst du’s mit Europa?, Göttingen:Steidl, 2019, S. 33 ff.

[54] Am 24. März 2013. Lepenies, op. Cit., S. 15-34, widmet diesem Papier von Alexandre Kojève von 1947 in seinem Frankreich-Buch – das im übrigen in vielerlei Hinsicht an Ernst Robert Curtius‘ Frankreich-Buch erinnert- ein ganzes Kapitel. Dazu passte auch die aufsehenerregende Aussage von Emmanuel Todd: ‚Le but de l’industrie allemande est l’extinction de laFrance“ in der französischen Fernsehsendung („Sur le plateau“) vom10. Mai 2013. Kurz zuvor hatte der ehemalige Minister und bekannte Politiker des Parti Socialiste Jean-Pierre Chévènment sein anti-deutsches Buchveröffentlicht: La France, est-t-elle fini?, Paris: Fayard, 2012.

[55] Persönliche Mitschrift einer Konferenz über die Gouvernance der Eurozone in der franz. Botschaft 2012, mit u.a. Klaus Regling, ESM,Wolfgang Münchau von der Financial Times u.v.a.m.

[56]„Elysée-Vertrag ist bis heute ein enormer Mythos“, in: Deutschlandfunk,Interview der Woche, 20. Januar 2013: https://www.deutschlandfunk.de/elysee-vertrag-ist-bis-heute-ein-enormer-mythos.868.de.html?dram:article_id=234798

[57] Durch die deutsch-französischen Absprachen auf dem Gipfel in Deauville im Oktober 2010 ist Frankreich in der (damaligen) Wahrnehmung definitiv zum „Deutschen Pudel“ geworden, vgl. Ulrike Guérot & Thomas Klau,After Merkozy: How France and Germany can make Europe work, ECFR PolicyBrief 56, 2012, https://www.amazon.de/After-Merkozy-France-Germany-English-ebook/dp/B0084F555I

[58] Hans-Peter Schwarz, op. Cit., Teil V, S. 692, zitiert Helmut Kohl im CDU-Bundesvorstand am 22. Oktober 1990.

[59] Das damals viel diskutierte und hoch umstrittene Dokument der CDU von 1994 findet sich immer noch im Internet: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/schaeuble-lamers-papier-1994.pdf?__blob=publicationFile&v=3

[60] Pascal Riché, La guérre de septans. L’histoire secret du franc fort, Paris: Calmann-Lévy, 1996

[61] Siehe FN 49. Dazu auch Guido Montani, (Ed), The European Union and Supranational Political Economy, London: Routledge, 2015. Für die französische Diskussion Bruno Amable, L’illusion du bloc bourgeois, Raisons d‘Agir, 2017

[62] Rede von Professor Heinz Steinert, Die Widerständigkeit der Theorie, Abschiedsvorlesung am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der J.W. Goethe-Universität, 4. Juli2007

[63] Vgl. Gregor Peter Schmitz & George Soros, Wetten auf Europa: Warum Deutschland den Euro retten muss, um sich selbst zu retten,SPIEGEL-Buch, DVA, 2014 (2. Aufl.)

[64] Streeck, Op. Cit., FN 49

[65] „Frankreich und Deutschland – Gemeinsam für ein gestärktes Europa der Stabilität und des Wachstums“, Pressemitteilung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 187/13 vom 30. Mai 2013, dazu Guérot, op. Cit., FN 47

[66] Der Begriff wurde in der ersten Dekade von Colin Crouch geprägt und hat seither paradigmatischen Charakter in der Politikwissenschaft.

[67] Vg. Adam Tooze, op. Cit., FN 50.

[68] Der Link zum PDF-Dokument der „5 EU-Präsidenten“ vom 5.Dezember 2012 ist hier: https://www.consilium.europa.eu/media/23818/134069.pdf

[69] Philip Manow, Politische Ökonomie des Populismus,Frankfurt: Suhrkamp, 2017;

[70]  Seine beiden wichtigsten Reden sind die in Paris an der Sorbonne vom 24. September 2017 und jene anlässlich der Verleihung des Karlspreise vom 10. Mai 2018.

[71] Aktuell wird die Abstimmung im Europäischen Rat von einem ungarischen und polnischen Veto blockiert.

[72] So kommentierte Henrik Enderlein den Merkel-Macron Deal: https://www.hertie-school.org/en/news/in-the-media/detail/content/a-hamiltonian-moment-for-europe.

[73] Clément Beaune, L’Europepar-delà le COVID 19, in: Politique Étrangère 3/2020, S. 11ff.

[74] Vgl. Guérot, Un test décisifpour la solidarité européenne, Le Grand Continent, April 2020:  https://legrandcontinent.eu/fr/2020/04/10/ulrike-guerot-solidarite-europeenne/

[75] Vgl. Peter  J. Verovšek, Memory and the Future of Europe, ManchesterUniversity Press, 2020

[76] Justine Lacroix, La Pensée Française à l’épreuve del’Europe, Paris: Grasset 2008; Etienne Balibar, Sommes nous Citoyens del’Europe?, Paris, 2003 (Deutsche Fassung: Sind wir Bürger Europas?Hamburger Institut für Sozialforschung, 2013; Patrique Savidan, Républiqueou l’Europe, Paris: folio, 2004; Jean-Marc Ferry, La Question de l’Étateuropéen, Paris: 2000; Habermas‘ Die Einbeziehung des Anderen erscheint 1997 auf französisch nicht von ungefähr unter dem Titel: L‘IntégrationRépublicaine (sic!) de l’Europe. Auf die aktuelle europäische Republikanismus-Forschung kann hier nicht ausführlich eingegangen werden. Für Einführung und Übersicht vgl. Thorsten Thiele, Republikanismus in der Europäischen Union. Eine Neubestimmung des Diskurses über die Legitimität europäischen Regierens, Baden-Baden:Nomos, 2012 und Thilo Zimmermann, European Republicanism, London : Palgrave Macmillan, 2019; vgl. auch die Arbeiten von Stefan Collignon oder Richard Bellamy, z.B.. A Republican Europa of States,Cambridge University Press 2019.

[77] Hartmut Kaelble, Die verkannten Bürger. Eine andere Geschichte der europäischen Integration, Berlin 2019

[78] Vgl. Guérot, U./Plehwe, D./ Krämer, W./ Neujeffski, M./Meland, A. (2016), Time to go beyond interstate federalism – or something different? The response of new pro-European think tanks to the EU integrationcrisis. WZB Working Paper(202)

[79] Siehe für die jüngere politikwissenschaftliche Diskussion über europäische Verfassungsdebatten Ulrike Liebert, Europa erneuern. Eine realistische Vision für das 21. Jahrhundert, Bielfeld: transcript, 2019

[80] 1998 nahm die CDU/ CSU den Begriff „Bundestaat Europa“ aus ihrem Parteiprogramm.

[81] Hierfür exemplarisch Dieter Grimm, Europa ja, aber welches? Zur Verfassung der europäischen Demokratie, München: C.H. Beck 2016

[82] Peter Sloterdijk, Falls Europa erwacht, Frankfurt: Suhrkamp 1994, S. 24 ff.,S. 55 ff.

[83] Dirk Jörke, Die Größe der Demokratie. Über die räumliche Dimension von Herrschaft und Partizipation, Berlin: Suhrkamp,2019

[84] Kommentar von Nikolaus Busse in der FAZ vom 1. Juni 2020

[85] Zitiert nach Sloterdijk S. 50, Jacques Le Goff: Das alte Europa und die Welt der Moderne

[86] Vgl. die beiden sehr inspirierenden Essays von Reinhart Koselleck, Europäische Umrisse deutscher Geschichte, Heidelberg: Manutius Verlag, 1999, S. 14 undS. 46 ff.

[87] Vgl. Sloterdijk, op. Cit., S. 34

[88] Vgl. den Gastbeitrag von Valéry Giscard d’Estaing, Europe Puissance, in: LeFigaro, 10. Februar 1995

[89] Vgl. Alain Badiou & Jean-Luc Nancy, Deutsche Philosophie im Dialog, Berlin: Matthes & Seitz, 2017: „Was ich mir wünsche, ist die Fusion von Frankreich und Deutschland. Ein einziges Land, ein einzelner föderaler Staat, zwei herrschende Sprachen, das wäre vollkommen möglich.“S. 27.

[90] Siehe: https://www.huffingtonpost.fr/entry/cohn-bendit-pour-une-federation-franco-allemande-et-un-siege-commun-a-lonu_fr_5f60b4bac5b68d1b09c7bb17

[91] Jacques Attali, Europe(s), Paris 1994, S. 196/ 197

[92] Wolfgang Heuer, Hannah Arendts politische Grammatik des Föderierens, Hannover:Leinbögen, 2016. S. 31 ff.

[93] Wie im Grunde schon im Mittelalter. Dazu überzeugend schon in den 1980er Jahren Krzysztof Pomian, Europa und seine Nationen, Wagenbach 1989, unter Rekurs auf die hochmittelalterliche République des Lettres; in jüngerer Zeit der Oxford-Politologe Jan Zielonka zu Europa als einem „neo-mittelalterlichen Empire“: https://www.researchgate.net/publication/227467710_Europe_as_Empire_The_Nature_of_the_Enlarged_European_Union

[94] Vgl. zu dem in zeitgenössischen Europadebatten stets (oder zumindest oft) missbräuchlich verwendeten Begriff der Subsidiarität Ulrike Guérot, „Subsidiarität“ - Die Begriffe der Bürger_innennähe und der Subsidiarität im öffentlichen europapolitischen Diskurs. Bedeutung für die Zukunft Europas, Discussion Paper No. 3, Department für Europapolitik & Demokratieforschung (DED) der Donau-Uni Krems, https://www.donau-uni.ac.at/en/university/faculties/business-globalization/departments/european-policy-study-of-democracy/research/publications/discussion-papers0.html

[95] Wichtige Vorarbeiten hierzu sind die Fragmente von Stein Rokkan,Staat, Nation und Demokratie in Europa. Die Theorie Stein Rokkans und aus seinen gesammelten Werken rekonstruiert und eingeleitet von Peter Flora, Berlin:suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 2000

[96] Mark Dubrulle et Gabriel Fragnière (dir.), Identités culturelleset citoyenneté européenne. Diversité et unité dans la construction démocratique de l’Europe,Forum Europe des Cultures, Bruxelles et. Alt.,2009

[97] Siehe dazu auch die Vorschläge der französischen „TDEM-Gruppe“um den Ökonomen Thomas Piketty, die sich für ein europäisches pro-rata Parlament auspricht, zusammengesetzt aus „nationalen“ und „europäischen“Abgeordneten: Traité pour la démocratisation de l’Europe, Paris 2017.Für Thomas Piketty ist der europäische Raum vor allem als ein einheitlicher„Steuerraum“ zu denken, wenn die politische Ökonomie von Binnenmarkt und Eurozone ohne soziale Schäden funktionieren soll.

[98] Vgl. Balibar, op. Cit, FN 75

[99] Vgl. den grundlegenden Artikel für diese Debatte von Samantha Besson & André Utzinger, Toward European Ctizenship, in: Journal of Social Philosophy, Vol. 39, No. 2, S. 185-208.

[100] vgl. Emiliano Grossmann & Felix Heidenreich (Hrsg.), Konstellationen der Souveränität in Europa, Münster: LitVerlag, 2017, vor allem den Beitrag von Eva-Maria Schäfferle, Souveränität und Legitimität des heranwachsenden europäischen Demos: die Exklusivität der Europäischen Bürgerschaft auf dem Prüfstand, S. 87-110

[101] Vgl. für die ältere Debatte Kalypso Nikolaïdis, The Idea of European Demoicracy: http://kalypsonicolaidis.com/wp-content/uploads/2015/02/2013_TheIdeaofDemoicracy.pdf

[102] Vgl. z.B. die für Februar 2021 geplante Konferenz an der Universität Lüneburg zum Thema „Die Stadt in der Europäischen Republik“

[103] Die Gewahrwerdung sozioökonomischer Interdependenzen befördert den Wunsch nach gemeinsamer politischer Repräsentation („European Voters without Borders“)und nach gemeinsamer Ausübung von politischer Macht. Dafür sind zeitgenössische, zivilgesellschaftliche Bewegungen in Europa wie etwa „Citizens Take Over Europe“ (#CTOE) erste Indizien; oder auch der derzeit am EuGH anhängige Case C-252/29 („European Citizenship is permanent Status“).Die Idee von Europa als einheitlichem Rechts- und Sozialraum diskutiere ich unter Rückgriff auf die einschlägigen Theorien von T. H. Marshall, SteinRokkan, Marcel Mauss sowie Bruno Karsenti (EHESS) ausführlich in Ulrike Guérot:Was ist die Nation?, Göttingen: Steidl, 2019.

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